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Die Arbeiten von Raphael Pozsgai sind ein Blickfang auf internationalen Designmessen. Als Schreinermeister wurde er mehrfach ausgezeichnet, obwohl er ein Exot unter Designern und Künstlern ist. Ein Selbstläufer sind die Auszeichnungen jedoch nicht. Von Christine Speckner
Die fein geschwungene Sitzfläche in Schwarz, die durchgestemmten Beine aus geölter Eiche: So ein Hocker fällt auf. Ein moderner Melkschemel etwa? „Da liegen Sie fast richtig“, sagt Raphael Pozsgai. „Mit meinen Entwürfen will ich die Tradition des Schwarzwalds sichtbar machen.“ Der Hocker heißt „Angus“, so wie die Rinderrasse. Doch Angus ist mehr als ein Hingucker, er ist ein Glücksfall für den selbstständigen Schreinermeister aus Südbaden. 2013 wurde sein Entwurf mit dem Red Dot Design Award ausgezeichnet. Das hat das Geschäft kräftig belebt. „Es war wie ein Ritterschlag“, sagt Pozsgai. Für sein gelungenes Design, das zwischen Brauchtum und Moderne liegt, wurde er mehrfach ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, betont Pozsgai, sei aber ein zweischneidiges Schwert. Damit ein Preisträger das Label Red Dot fürs eigene Marketing nutzen darf, muss er tief in die Tasche greifen. Für einen kleinen Handwerksbetrieb ist das natürlich grenzwertig.
Der erste Entwurf war ein Mauerblümchen
Trotzdem hat der gebürtige Schwabe den Aufwand nicht gescheut. Er nimmt regelmäßig an Design-Wettbewerben in Deutschland und Österreich teil. Denn schon 2006, als er mit seiner Familie von Freiburg nach Heitersheim zog, wo sich der junge Familienvater von zwei Kindern selbstständig machte, war ihm klar: Eine Chance hab ich nur, wenn ich raus aus der Vergleichbarkeit komme. Dazu brauchte er ein innovatives Produkt. Zumal er in die „Schreinerstraße“ gezogen sei, verrät er mit einem Augenzwinkern. Hier gibt es Mitbewerber, eine Handvoll ist in dem kleinen Örtchen im Markgräflerland ansässig. Pozsgai aber zeigte sich unbeirrt, baute seine Marke auf und entwarf mit viel Elan den ersten Prototyp: einen Schemel. Schlicht, ja zu schlicht. Jedenfalls fand er kaum Beachtung im Schaufenster der kleinen Stadtbäckerei, in der Pozsgai ihn erstmals ausstellte. Form und Funktion wurden im Laufe von drei Jahren perfektioniert, nebenher stemmte er noch das Alltagsgeschäft in seinem Zwei-Mann-Betrieb. Herausgekommen ist ein Werkstück, „das ich nicht hätte besser machen können“, so Pozsgai. „Als ich die schwarze Oberfläche und die ausgestellten Beine sah, musste ich unweigerlich an die Rinderrasse Black Angus denken. Seit dem ersten Entwurf des Hockers ging mir dieser Name nicht mehr aus dem Sinn. Den Entwürfen des Hockers folgten die des Barhockers und verschiedener Tische. Dabei hatte ich stets das Bild des erhabenen schwarzen Bullen vor Augen.“ Die Serie Angus gibt es in vier Varianten: Als Hocker, Schemel sowie Barhocker kurz und lang. In den Folgejahren kamen die Wohnkiste, Schneidebretter und 2016 ein Sideboard dazu.
Mit Heimatdesign zum Erfolg
Durchgestartet ist Raphael Pozsgai 2010, als er mit drei Kollegen bei den Passagen, dem Begleitprogramm der Internationalen Möbelmesse in Köln, erstmals handgefertigte Entwürfe präsentierte. „Wir kannten uns von der Meisterschule in Freiburg und sind jedes Jahr zusammen über die Messe getingelt.“ Da kamen sie auf eine coole Idee. Warum nicht selbst ausstellen? Völlig unerfahren, aber vollauf begeistert bewarben sich die vier – und kassierten prompt eine Absage. Sie ließen sich nicht abschrecken und bewarben sich ein zweites Mal – jetzt mit einem schlüssigen Konzept, das zum Thema der Ausstellung, „Heimatdesign“, passte. Sie stellten sich mit eigener Schwarzwald-Marke vor und nannten sich „Brettgeschichten“. Das kam an – und so fuhren sie erwartungsvoll nach Köln, wo sie sich mit lokalen Gestaltern präsentierten, aber auch mit Designern aus dem In- und Ausland. Die große Auftragswelle brach zwar nicht über sie herein, aber als Inspirationsquelle und Marketinginstrument war die Messe ein Volltreffer.
Holz sparsam einsetzen
Charakteristisch für die Arbeiten von Pozsgai ist die Kombination von Holz und Holzwerkstoffen. Vor allem Eiche mit Valchromat, einer FSC-zertifizierten, mit organischen Farbstoffen durchgefärbten Holzfaserplatte aus Portugal. Die Fasern werden einzeln mit organischen Farbstoffen eingefärbt und mit einem speziellen Leim verpresst. Aber auch Eiche mit schwarzem Linoleum. „Ich finde, dass Holz mit Schwarz besser zur Geltung kommt.“ In der Werkstatt sucht man vergeblich eine CNC-Maschine. Stattdessen arbeitet er mit der Unterflurfräse L von Ruwi, deren leichte Bedienbarkeit Pozsgai schätzt: „Die CNC des kleinen Mannes“, sagt er schmunzelnd. Sie stellt eine Vielzahl an Fräswerkzeugen auf Abruf bereit. Das zeitraubende Probefräsen entfällt. Mit der Ruwi lassen sich schnell und unkompliziert Werkstücke vereinzeln, nach Bedarf nachbearbeiten und fertigstellen. „Der schnelle Werkzeugtausch spart Zeit, die Rüstzeiten fallen weg.“
Die Grenzen des technisch Machbaren ausreizen, ohne dass das Design verloren geht. Das sei sein Anspruch, erklärt Raphael Pozsgai. Für seine Entwürfe hat er kleine und große Modelle gebaut. Eine Menge verworfen, manches weiterentwickelt, so gründlich, bis endlich die Schnittstelle zwischen Sitz und Hockerbein, die eigentlich „zu wenig Fleisch hat“, stabil war. Auch in seiner Wohnkiste steckt eine Menge Arbeit. Details verrät er nicht. „Ein Schreiner würde nicht drauf kommen, wie sie gebaut ist. Er müsste sie wahrscheinlich aufsägen, um das herauszufinden.“ Ein einfacher Mechanismus erlaubt es, die Kisten so zu stapeln, dass sie nicht verrutschen können.
Viele Standbeine, mehr Flexibilität
„Ich muss den Kopf frei haben fürs Gestalten“, sagt Pozsgai. Um sich den Zeitaufwand für Design-Kreationen überhaupt leisten zu können, hat er seinen Betrieb auf mehrere Standbeine gestellt. Individuelle Möbel für Privatkunden fertigt er gemeinsam mit einem freien Mitarbeiter (Schreinergeselle) und einem Azubi. Außerdem arbeitet er als Subunternehmer. Weiter wachsen will er nicht, was unternehmerische Freiheiten erlaubt und größtmögliche Flexibilität. Die Sparte Design-Kleinmöbel macht 60 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Der Vertrieb erfolgt über zwei renommierte Möbelhäuser in Südbaden und einen Versandhändler, der Wert auf Qualität und Gestaltung legt. Bestseller sind Hocker und Barhocker. Letztere gab ein Schweizer Pharmakonzern im vergangenen Jahr für eine Business Lounge in Auftrag. Zum Kundenkreis gehören auch Privatkunden, die ihr Zuhause mit einem extravaganten Einzelmöbel verschönern möchten.
Und was ist aus den Brettgeschichten geworden? Die Gruppe existiert nicht mehr. Der Aufwand, jedes Jahr etwas Neues in Köln zu zeigen, war groß. Der Erfolg nicht berauschend. Einer nach dem anderen stieg aus. Pozsgai war der Einzige, der 2017 wieder bei der größten deutschen Designveranstaltung mitmachte. Sein Tisch und Barhocker der Serie Angus wurden mit dem German Design Award 2017 „Special Mention“ für herausragende Designqualität ausgezeichnet.
Es gab Zeiten des Zweifels
Raphael Pozsgai sitzt im Büro. Er blickt nachdenklich auf seinen Red Dot Award an der Wand. „Ich hab’ voll gepowert, die letzten Jahre“, sagt der 42-Jährige. Messen, Standkonzepte planen, Bewerbungen für Designpreise, Kundenkontakte knüpfen, die eigenen Mitarbeiter führen – alles in allem: eine One-Man-Show. Feierabend: ein Fremdwort. Das hat Kräfte gekostet. Deshalb habe er sich vor einem halben Jahr auf eine feste Stelle beworben, erzählt der Familienvater. Die Einladung zum Vorstellungsgespräch lag schon auf dem Tisch. Doch dann hat Pozsgai das Ruder noch einmal herumgerissen. Er wird weitermachen. „Es war ein harter Ringkampf.“ Für 100 Hocker hatte er bereits die Sitzschalen und Hockerbeine vorgerichtet. Erst letztes Jahr in die Ruwi investiert. „Da steckt viel Herzblut drin.“ Künftig will er einen Gang runterschalten – aber auch neue Vertriebswege finden. „Ideen habe ich genug in der Schublade.“